21.Gratifikation und andere
Sonderleistungen
BAG, Urt. v. 13.2.2007 - 9 AZR
374/06, Pressemitteilung Nr. 9/07
Beteiligt
sich ein Arbeitnehmer an einem rechtmäßigen Streik, so führt dies grundsätzlich
zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer verliert für diesen
Zeitraum seinen Anspruch auf Arbeitsentgelt. Der Arbeitgeber kann zusätzlich
berechtigt sein, tarifliche Sonderleistungen anteilig zu mindern. Ob dem
Arbeitgeber eine Minderungsbefugnis zusteht, richtet sich nach den tariflichen
Anspruchsvoraussetzungen und Ausschlusstatbeständen.
Erhalten
die Arbeitnehmer nach dem MTV eine Jahresleistung, die „für Zeiten unbezahlter
Arbeitsbefreiung" entsprechend gekürzt wird, so kann eine streikbedingte
Abwesenheit des Arbeitnehmers ggf. als anspruchsmindernde „unbezahlte Arbeitsbefreiung" angesehen werden.
3. Vereinbaren
die Tarifvertragsparteien eine „Maßregelungsklausel", in der es heißt,
dass
das Arbeitsverhältnis „durch die Arbeitskampfmaßnahme als nicht ruhend
gilt", so steht
diese Klausel einer Kürzung entgegen. Nach ihr ist es dem Arbeitgeber verwehrt,
Streiktage wie Ruhenszeiten zu behandeln.
22. Insolvenz
BAG, Urt. v. 21.11.2006 - 9 AZR
97/06, Pressemitteilung Nr. 71/06
Bei der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen
des Arbeitgebers noch offene Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers sind
Masseverbindlichkeiten. Der Insolvenzverwalter hat dem Arbeitnehmer auf dessen
Antrag Urlaub zu erteilen und das Urlaubsentgelt aus der Insolvenzmasse zu
zahlen. Wird das Arbeitsverhältnis beendet, ist der offene Resturlaub ebenfalls
als Masseverbindlichkeit abzugelten.
Die Anzeige
des Insolvenzverwalters, die Masse sei unzulänglich, reiche also nicht zur
vollständigen Befriedigung aller Massegläubiger aus, führt zu einer Neuordnung
der Masseverbindlichkeiten. Sie sind u.a. dann als
sog. Neumasseverbindlichkeiten in voller Höhe aus der Masse zu berichtigen,
soweit der Insolvenzverwalter die Gegenleistung für die Insolvenzmasse in
Anspruch genommen hat. Die Gläubiger sog. Altmasseverbindlichkeiten sind
dagegen auf eine nur quotale Berichtigung ihrer
Forderungen beschränkt.
Der
Anspruch auf Urlaubsentgelt bzw. Urlaubsabgeltung ist bei Masseunzulänglichkeit
nur anteilig als Neumasseverbindlichkeit zu berichtigen. Zur Berechnung ist bei
einem in der 5-Tage-Woche beschäftigten Arbeitnehmer das für den gesamten
Jahresurlaub zustehende Urlaubsentgelt durch 260 zu dividieren und mit den nach
der Anzeige der Masseunzulänglichkeit geleisteten Arbeitstagen zu multiplizieren,
an denen er zur Beschäftigung herangezogen worden ist. Bei einer auf mehr oder
weniger Arbeitstage in der Woche verteilten Arbeitszeit erhöht oder verringert
sich der Divisor entsprechend.
23. Kündigung, Allgemeines
BAG, ürt.
v. 12.1.2006 - 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980
Unwirksame
Kündigung wegen fehlender Vorlage einer Vollmachtsurkunde gemäß § 174S 1BGB.
Eine konkludente Mitteilung der Bevollmächtigung genügt, die
Erlangung der Kenntnis auf anderem Wege dagegen nicht.
24. Kündigung, Anwendbarkeit KSchG
BAG, Urt. v. 21.9.2006 - 2 AZR
840/05, Pressemitteilung Nr. 59/06
Bei einem
späteren Absinken der Zahl der am 31. Dezember 2003 beschäftigten Arbeitnehmer
auf fünf oder weniger Personen genießt keiner der im Betrieb verbleibenden
"Alt-Arbeitnehmer" weiterhin Kündigungsschutz, soweit in dem Betrieb
einschließlich der seit dem 1. Januar 2004 eingestellten Personen insgesamt
nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Dies gilt auch dann, wenn
für ausgeschiedene "Alt-Arbeitnehmer" andere Arbeitnehmer eingestellt
worden sind. Eine solche "Ersatzeinstellung" reicht nach Wortlaut
sowie Sinn und Zweck der Besitzstandsregelung des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG für
deren Anwendung nicht aus.
BAG, Urt. v. 15.2.2007 - 8 AZR
397/06, Pressemitteilung Nr. 15/07
Nach § 613a
Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der Betriebserwerber in die Rechte und Pflichten aus
dem im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnisses ein.
Der im Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsveräußerer erwachsene Kündigungsschutz
nach dem Kündigungsschutzgesetz geht nicht mit dem Arbeitsverhältnis auf den
Betriebserwerber über, wenn in dessen Betrieb die Voraussetzungen des § 23 Abs.
1 KSchG nicht vorliegen. Das Erreichen des Schwellenwerts des § 23 Abs. 1 KSchG
und der dadurch entstehende Kündigungsschutz ist kein Recht des übergehenden
Arbeitsverhältnisses. § 323 Abs. 1 UmwG ist nicht
analog anzuwenden.
25. Kündigung, § 1 KSchG,
betriebsbedingte
BAG, Urt. v. 2.2.06 - 2 AZR 38/05,
AP Nr. 142 zu § 1 KSchG 1969 B.bed. Kündigung
Als
"frei" sind grundsätzlich solche Arbeitsplätze anzusehen, die zum
Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind. Dem steht es gleich, wenn
der Arbeitsplatz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei wird. Ist dies nämlich
der Fall, so besteht in Wahrheit kein Arbeitskräfteüberhang, der den
Arbeitgeber zur Kündigung berechtigen könnte. Ob und für wie lange ein aus
Krankheitsgründen vakanter Arbeitsplatz besetzt werden soll, unterliegt dabei
der nur auf Missbrauch und Willkür überprüfbaren unternehmerischen Entscheidung
des Arbeitgebers.
Ein
Arbeitsplatz kann, so lange ein zur Erledigung der dort anfallenden Arbeit dem
Arbeitgeber arbeitsvertraglich verpflichteter Arbeitnehmer vorhanden ist,
grundsätzlich nicht als frei angesehen werden. Der Arbeitgeber deckt das
vorhandene Arbeitsvolumen durch Abschluss entsprechender Arbeitsverträge ab und
bringt so die rechtlich verfügbare Arbeitskapazität in Übereinstimmung mit dem
tatsächlich vorhandenen Arbeitsvolumen. In diesem Rahmen ist er durch Direktionsrecht
berechtigt, Arbeit abzufordern, andererseits auf Grund bestehender
Beschäftigungsansprüche auch verpflichtet, Arbeit zuzuweisen. Daran ändert sich
grundsätzlich auch dann nichts, wenn ein Arbeitnehmer erkrankt ist und
vorübergehend nicht zur Arbeit herangezogen werden kann. Die Erkrankung ändert
nichts an den weiter bestehenden vertraglichen Bindungen. Sobald der erkrankte
Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig ist, muss der Arbeitgeber ihn beschäftigen.
Selbst dann, wenn es wahrscheinlich ist oder gar feststeht, dass der erkrankte
Arbeitnehmer nicht zurückkehren wird, ist allein dadurch der betreffende
Arbeitsplatz nicht als frei anzusehen, solange der Arbeitsvertrag besteht.
Andernfalls würde das Gericht die unternehmerische Dispositionsfreiheit
beeinträchtigen.
Anders
verhält es sich dann, wenn der Arbeitgeber eine aus Krankheitsgründen
-vorübergehend oder dauerhaft - vakante Stelle missbräuchlich deshalb dem
betriebsbedingt gekündigten Arbeitnehmer nicht anbietet, weil er ihn trotz
bestehendem Beschäftigungsbedarfs aus dem Betrieb drängen will. So dürfte es
etwa dann liegen, wenn der Arbeitgeber eine Neueinstellung vornimmt oder die
infolge der Arbeitsunfähigkeit nicht erledigte Arbeit so umverteilt, dass sie
von den im Betrieb verbliebenen Arbeitnehmern nur unter Verstoß gegen dem
Schutz der Arbeitnehmer dienende gesetzliche oder tarifvertragliche
Vorschriften ausgeführt werden kann (hier verneint).
Im
öffentlichen Dienst kommt der im Arbeitsvertrag genannten Vergütungsgruppe im
Sinne einer negativen Abgrenzung für die Vergleichsgruppenbildung entscheidende
Bedeutung zu: Sie schließt, sofern es sich nicht um einen Fall des
Bewährungsaufstiegs handelt, grundsätzlich die Vergleichbarkeit zwischen
Arbeitnehmern unterschiedlicher Vergütungsgruppen aus. Daraus kann aber nicht
zugleich auch im Sinne einer positiven Abgrenzung entnommen werden,
Arbeitnehmer, die derselben Vergütungsgruppen angehören, seien stets i.S.d. Sozialauswahl miteinander vergleichbar.
BAG, Urt. v. 2.3.2006 - 2 AZR 23/05,
NZA 2006,1350
Nach der
ständigen Rechtsprechung des Senats bestimmt sich der Kreis der in die soziale
Auswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer in erster Linie nach
arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit.
Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann,
wenn der Arbeitnehmer auf Grund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine
andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. Die Notwendigkeit
einer kurzen Einarbeitungszeit steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen („qualifikationsmäßige Austauschbarkeit"). Dabei kann im
öffentlichen Dienst der tariflichen Eingruppierung besondere Bedeutung
zukommen, die jedoch eingeschränkt ist, soweit es sich um eine Eingruppierung
aufgrund Bewährungsaufstiegs handelt. Dabei schließt eine unterschiedliche
Eingruppierung die Vergleichbarkeit häufig aus, während die Zugehörigkeit zu
derselben Vergütungsgruppe für die Vergleichbarkeit sprechen kann, ohne dass
sie immer mit ihr verbunden sein müsste. An einer Vergleichbarkeit fehlt es
jedoch, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig auf den anderen
Arbeitsplatz um- oder versetzen kann („arbeitsvertragliche
Austauschbarkeit"). Die Reichweite des Direktionsrechts bestimmt damit
maßgeblich die Reichweite des Kündigungsschutzes mit.
BAG, Urt. v. 23.3.2006 - 2 AZR
162/05, NZA 2007,30
Nach der
ständigen Rechtsprechung des Senats ist das KSchG nicht konzernbezogen. Der
Arbeitgeber ist vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung grundsätzlich
nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem anderen Betrieb eines anderen
Unternehmens unterzubringen. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, dass
Arbeitgeber als Partner des Arbeitsvertrags das vertragsschließende Unternehmen
ist. Eine Weiterbeschäftigung in einem anderen Unternehmen führt deshalb
zwangsläufig zu einem Wechsel des Arbeitgebers und der Vertragsparteien.
Seit der
Entscheidung vom 14. Oktober 1982, 2 AZR 658/80, nimmt der Senat allerdings in
ständiger Rechtsprechung an, auf Grund besonderer Sachverhaltsgestaltungen
seien Ausnahmefälle denkbar, in denen eine konzernbezogene Betrachtung geboten
sei. Davon sei nicht nur auszugehen, wenn sich ein anderes Konzernunternehmen
ausdrücklich zur Übernahme des Arbeitnehmers bereit erklärt habe, sondern auch
und vor allem dann, wenn sich eine solche Verpflichtung unmittelbar aus dem
Arbeitsvertrag oder einer sonstigen vertraglichen Absprache ergebe. Der
Arbeitnehmer könne nach dem Arbeitsvertrag von vornherein für den Unternehmens-
und den Konzernbereich eingestellt worden sein oder sich arbeitsvertraglich mit
einer Versetzung innerhalb der Unternehmens- bzw. Konzerngruppe einverstanden
erklärt haben. Bei einer solchen Vertragsgestaltung müsse der Arbeitgeber als
verpflichtet angesehen werden, zunächst eine Unterbringung des Arbeitnehmers in
einem anderen Unternehmens- oder Konzernbetrieb zu versuchen, bevor er dem
Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen kündige. Gleiches müsse aber auch
dann gelten, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine diesbezügliche Zusage
mache oder eine Übernahme durch einen anderen Unternehmens- oder Konzernbetrieb
in Aussicht stelle.
Bei derartigen Fallgestaltungen könne der Arbeitnehmer einen vertraglichen Anspruch
gegen seinen Arbeitgeber auf Verschaffung eines Arbeitsvertrags haben. Weitere
Voraussetzung einer derartigen unternehmensübergreifenden
Weiterbeschäftigungspflicht ist nach der Rechtsprechung des Senats allerdings
ein bestimmender Einfluss des Beschäftigungsbetriebs bzw. des vertragsschließenden Unternehmens auf die "Versetzung". Die Entscheidung darüber darf grundsätzlich
nicht dem zur Übernahme bereiten Unternehmen vorbehalten worden sein. Dabei
spielt es keine Rolle, ob die Möglichkeit der Einflussnahme auf Grund
eindeutiger rechtlicher Regelungen (z.B. auf Grund eines Beherrschungsvertrags)
oder eher nur faktisch besteht (hier: verneint).
Ein
"konzernbezogener Kündigungsschutz" wird allenfalls für
Fallgestaltungen erörtert, in denen konzerninterne Entscheidungen (etwa
Verlagerung von Tätigkeiten auf andere Konzernunternehmen, Stillegung eines Konzernunternehmens oder einer Abteilung bei gleichzeitiger Neugründung
eines Konzernunternehmens mit identischen arbeitstechnischen und
wirtschaftlichen Zielsetzungen) den Beschäftigungsbedarf für den betreffenden
Arbeitnehmer bei konzernbezogener Betrachtungsweise nicht wegfallen lassen.
Eine Erweiterung des Kündigungsschutzes im Wege der Rechtsfortbildung auf Fälle
der bloßen konzerninternen Verlagerung von nach wie vor bestehenden
Beschäftigungsmöglichkeiten fordert - wenn sie überhaupt möglich sein sollte -
jedenfalls gesteigerte Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitnehmers.
Er muss zumindest hinreichend konkret darlegen, dass der in seinem
Konzernunternehmen weggefallene Beschäftigungsbedarf lediglich auf ein anderes
Konzernunternehmen verlagert ist, dort nach wie vor besteht und dieses
Konzernunternehmen diesen Beschäftigungsbedarf nunmehr z.B. durch auf dem
freien Arbeitsmarkt angeworbene oder willkürlich aus dem Mitarbeiterstamm
seines Arbeitgebers ausgewählte Arbeitnehmer abdeckt.
Eine
unternehmensübergreifende Weiterbeschäftigungspflicht im Gemeinschaftsbetrieb
kommt dann nicht in Betracht, wenn dieser im Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr
besteht. Gleiches gilt, wenn im Zeitpunkt der Kündigung der eine der Betriebe,
die zusammen einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet haben, zwar noch nicht
stillgelegt ist, auf Grund einer unternehmerischen Entscheidung, die bereits
greifbare Formen angenommen hat, aber feststeht, dass er bei Ablauf der
Kündigungsfrist des Arbeitnehmers stillgelegt sein wird. Wird, wie dies
regelmäßig geschieht, mit der Stilllegung des einen Betriebs auch die
gemeinsame Leitungsstruktur beseitigt, so besteht ab dem Stilllegungszeitpunkt
nur noch ein Betrieb fort, in dessen Führung durch den Unternehmer, dessen
Betrieb stillgelegt worden ist, nicht mehr eingegriffen werden kann. Der
Unternehmer des stillzulegenden Betriebs ist damit nicht mehr in der Lage, eine
Weiterbeschäftigung seiner Arbeitnehmer, denen wegen der Stilllegung betriebsbedingt
zu kündigen ist, in dem fortgeführten Betrieb des anderen Unternehmers
rechtlich durchzusetzen.
BAG, Urt. v. 18.5.2006 - 2 AZR
412/05, DB 2006,1962
Im Rahmen
der Arbeitnehmerüberlassung entsteht ein Überhang an Leiharbeitnehmern, wenn
der Einsatz von Leiharbeitnehmern endet, ohne dass der Arbeitnehmer wieder bei
anderen Entleihern oder im Betrieb des Verleihers sofort oder auf absehbare
Zeit eingesetzt werden kann.
Dabei
reicht ein bloßer Hinweis auf einen auslaufenden Auftrag und auf einen fehlenden
Anschlussauftrag regelmäßig nicht aus, um einen - dauerhaften - Wegfall des
Beschäftigungsbedürfnisses zu begründen. Der Arbeitgeber muss an Hand der
Auftragsund Personalplanung vielmehr darstellen, warum es sich nicht nur um
eine - kurzfristige -Auftragsschwankung, sondern um einen dauerhaften
Auftragsrückgang handelt und ein anderer Einsatz des Arbeitnehmers bei einem
anderen Kunden bzw. in einem anderen Auftrag - auch ggf. nach entsprechenden
Anpassungsfortbildungen - nicht in Betracht kommt. Dies gilt umso mehr, als es
dem Wesen der Arbeitnehmerüberlassung und dem Geschäft eines
Arbeitnehmerüberlassungs-Unternehmen entspricht, Arbeitnehmer - oft kurzfristig
- bei verschiedenen Auftraggebern einzusetzen und zu beschäftigen. Deshalb ist
es gerechtfertigt, an die Darlegung der Tatsachen, auf denen die zu stellende
Prognose des zukünftigen Beschäftigungsvolumens beruht, dezidierte
Anforderungen - auch in zeitlicher Hinsicht - zu stellen. Kurzfristige
Auftragslücken sind bei einem Leiharbeitsunternehmen nicht geeignet, eine
betriebsbedingte Kündigung i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG zu rechtfertigen, da
sie zum typischen Wirtschaftsrisiko dieser Unternehmen gehören.
BAG, Urt. v. 6.7.2006 - 2 AZR
520/05, ZIP 2006, 2329
1. Ein
Arbeitgeber, der bei der Sozialauswahl die Angaben in der Lohnsteuerkarte
zugrunde legt, berücksichtigt die sozialen Gesichtspunkte jedenfalls dann nicht
"ausreichend", wenn er Anlass hatte – z.B. wegen der Steuerklasse der
Arbeitnehmerin und wegen Angaben der Arbeitnehmerin im Vorprozess - an der
Richtigkeit des Schlusses von den Angaben in der Lohnsteuerkarte auf die
tatsächlichen Verhältnisse zu zweifeln.
2. Ist der
Interessenausgleich zeitlich vor einer Zusatzvereinbarung zum Interessenausgleich
und der Namensliste abgeschlossen worden, kann dieser nicht auf die Namensliste
verweisen.
3. Ob es
sich bei der Zusatzvereinbarung um einen Interessenausgleich iSd. § 112 BetrVG handelte, konnte im zu entscheidenden
Fall offen bleiben. Wird eine feste Verbindung zwischen einer Zusatzvereinbarung
zum Interessenausgleich und der Namensliste erst nach Unterzeichnung durch die
Geschäftsleitung und den Betriebsrat vom Personalleiter hergestellt, reicht
dies zur Wahrung der Schriftform nicht aus. Das Erfordernis der Einheit der
Urkunde, das als Voraussetzung der Schriftform dem in § 126 Abs. 2 BGB vorgesehenen
Regelfall eines Schriftstücks zu entnehmen ist, ist nicht bereits dann erfüllt,
wenn eine bloß gedankliche Verbindung (Bezugnahme) zur Haupturkunde besteht.
Vielmehr muss die Verbindung auch äußerlich durch tatsächliche Beifügung der in
Bezug
genommenen Urkunde zur Haupturkunde in Erscheinung treten (BGH 13. November
1963 - V ZR 8/62 - BGHZ 40, 255, 263). Deshalb müssen im Augenblick der
Unterzeichnung die Schriftstücke als einheitliche Urkunde äußerlich erkennbar
werden
(BGH 13. November 1963 - V ZR 8/62 - aaO; vgl. auch
Senat 7. Mai 1998 - 2 AZR
55/98 - BAGE 88, 375). Eine erst nach Unterzeichnung durch Arbeitgeberin und
Betriebsrat vom Personalleiter vorgenommene Zusammenheftung mittels Heftmaschine
genügt daher dem Schriftformerfordernis nicht.
Anm.: Diese
Rechtsprechung wird sich nahtlos auf den Interessenausgleich als solchen
übertragen lassen. Interessenausgleich und Namensliste müssen bei
Unterzeichnung durch die Betriebsparteien bereits fest verbunden sein, oder die
Namensliste, auf die im Interessenausgleich Bezug genommen werden muss, wird
als solche von den Betriebsparteien unterschrieben. Noch sicherer erscheint es
allerdings, die Namensliste in den Interessenausgleich selbst aufzunehmen.
BAG, Urt. v. 18.10.2006 - 2 AZR
676/05, Pressemitteilung Nr. 63/06
An einer
Vergleichbarkeit i.S. des § 1 Abs. 3 KSchG fehlt es
zwischen Arbeitnehmern, die der Arbeitgeber nicht einseitig auf den anderen
Arbeitsplatz umsetzen oder versetzen kann. Die Vergleichbarkeit kann
grundsätzlich auch nicht dadurch herbeigeführt werden, dass der Arbeitsvertrag
eines von einem betrieblichen Ereignis betroffenen Arbeitnehmers erst
anlässlich dieses Ereignisses einvernehmlich oder im Wege der
Änderungskündigung entsprechend abgeändert wird. Der Betriebsleiter einer
aufgelösten Niederlassung ist daher mit der (im Streitfall gekündigten)
Betriebsleiterin der anderen Niederlassung nur dann vergleichbar, wenn sein
Arbeitsvertrag eine Versetzung in diese andere Niederlassung vorsah.
Anm.: Die
bislang nur als Pressemitteilung vorliegende Entscheidung lässt nicht
hinreichend erkennen, ob es sich bei der aufgelösten Niederlassung und der
anderen Niederlassung um einen Betrieb i.S. des KSchG
handelte. Die Arbeitgeberin hatte sich im Prozeß darauf berufen, ein solcher liege deshalb vor, weil sie die betreffende
Niederlassung vor ihrer Auflösung mit einer anderen Niederlassung
zusammengelegt habe. Die Vorinstanz (LAG Hamm v. 29.06.2005 - 14 Sa 438/05)
hatte diese Frage offen gelassen und argumentiert, selbst wenn es sich um einen
Betrieb i.S. des KSchG handele, könne die
Arbeitgeberin sich hierauf nicht berufen, da sie im übrigen eine allein
standortbezogene Abwicklung der Produktionsstilllegung vorgenommen habe, in der
sie allen Mitarbeitern des Standortes kündigte, ohne eine soziale Auswahl unter
sämtlichen Arbeitnehmern aller Standorte zu treffen. Das BAG hat den
Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen zur Klärung, wie der Arbeitsvertrag des
Betriebsleiters der aufgelösten Niederlassung im Hinblick auf eine Versetzbarkeit in die andere Niederlassung auszulegen ist.
Die Zurückverweisung ist m.E. nur vor dem Hintergrund
der Annahme verständlich, die Zusammenlegung habe zum Vorliegen eines beide
Niederlassungen umfassenden Betriebes geführt.
BAG, Urt. v. 9.11.2006 - 2 AZR
812/05, Pressemitteilung Nr. 68/06
1. Unterläuft
dem Arbeitgeber, der bei mehreren anstehenden Kündigungen ein
Punktesystem verwendet, bei der Ermittlung der Punktzahlen ein Fehler mit der
Folge,
dass ein Arbeitnehmer zu viele Punkte erhält und dadurch nicht gekündigt wird,
obwohl er
ansonsten zur Kündigung angestanden hätte, so ist zu berücksichtigen, dass bei
fehlerfreier Erstellung der Rangfolge nur ein Arbeitnehmer von der
Kündigungsliste zu
nehmen gewesen wäre.
2. Kann der
Arbeitgeber in Fällen der vorliegenden Art im Kündigungsschutzprozess
aufzeigen, dass der gekündigte klagende Arbeitnehmer auch bei richtiger
Erstellung der
Rangliste anhand des Punktesystems zur Kündigung angestanden hätte, so ist die
Kündigung nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam. In diesen Fällen
ist der
Fehler für die Auswahl des gekündigten Arbeitnehmers nicht ursächlich geworden
und die
Sozialauswahl jedenfalls im Ergebnis ausreichend (Aufgabe der bisherigen
Rechtsprechung, sog. „Domino-Theorie", nach der in Fällen wie dem
vorliegenden die
Kündigungen aller gekündigten Arbeitnehmer als unwirksam angesehen wurden).
BAG, Urt. v. 7.12.2006 - 2 AZR
748/05, Pressemitteilung Nr. 77/06
Ein
berechtigtes betriebliches Interesse i.S. des § 1
Abs. 3 Satz 2 KSchG kann für eine Gemeinde, die gesetzlich zum Brandschutz
verpflichtet ist, darin begründet sein, dass durch die Weiterbeschäftigung
eines Arbeitnehmers (hier: Reinigungskraft) dessen jederzeitige
Einsatzmöglichkeit in der Freiwilligen Feuerwehr sichergestellt werden soll.
26.Kündigung, § 1 KSchG,
personenbedingte
BAG, Urt. v. 7.12.2006 - 2 AZR
182/06, Pressemitteilung Nr. 78/06
1. Die
Einhaltung des Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1
SGB IX ist keine formelle
Wirksamkeitsvoraussetzung für Kündigungen gegenüber Schwerbehinderten.
2. Steht
die Pflichtverletzung in keinem Zusammenhang mit der Behinderung und
verspricht das Verfahren von vornherein keinen Erfolg, so braucht es nicht
durchgeführt
zu werden (vorliegend: schwerbehinderter Arbeitnehmer entfernt sich an mehreren
Tagen
hintereinander jeweils ca. 2 Stunden vor Ende der bezahlten Arbeitszeit von der
Arbeitsstelle).
3. Kann das
Präventionsverfahren im Arbeitsverhältnis des Schwerbehinderten auftretende Schwierigkeiten
beseitigen, so kann die Unterlassung des Verfahrens zu Lasten des Arbeitgebers
bei der Bewertung des Kündigungsgrundes Berücksichtigung finden.
BAG, Urt. v. 18.1.2007 - 2 AZR
731/05, Pressemitteilung Nr. 1/07
1. Gründe
in der Person des Arbeitnehmers, die nach § 1 Abs. 2 KSchG eine Kündigung
sozial rechtfertigen, liegen nicht vor, wenn ein für eine Tätigkeit im
Gepäckdienst
eingestellter (Werk-)Student auf Grund seiner überlangen Studiendauer nach den
sozialversicherungsrechtlichen Regelungen nicht mehr als Student
sozialversicherungsfrei
ist. Der Arbeitgeber soll das Arbeitsverhältnis auflösen können, wenn der
Arbeitnehmer
die erforderliche Eignung und Fähigkeiten nicht (mehr) besitzt, um zukünftig
die
geschuldete Arbeitsleistung ganz oder teilweise zu erbringen. Der Umstand der
Sozialversicherungsfreiheit stellt für die geschuldete Arbeitsleistung kein
notwendiges
Eignungsmerkmal dar.
2. Die
persönliche Eigenschaft des Arbeitnehmers als sozialversicherungsfreier ordentlicher
Studierender kann in solchen Fällen auch nicht im Wege arbeitsvertraglicher
Vereinbarung zur Grundlage ihres Arbeitsvertrages gemacht werden, bei deren
Wegfall
eine personenbedingte Kündigung zulässig sein solle (vorliegend war im
Arbeitsvertrag
u.a. vereinbart, das Arbeitsverhältnis sei unter
Beachtung der Sozialversicherungsfreiheit
an den Nachweis eines ordentlichen Studiums gebunden).
27.Kündigung, § 1 KSchG,
verhaltensbedingte, § 626 BGB, außerordentliche, Abmahnung
BAG, Urt. v. 12.1.2006 - 2 AZR
179/05, NZA 2006, 980
Mit der
unerlaubten Installation einer Anonymisierungssoftware auf einem dienstlichen
Rechner verletzt der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten
erheblich. In diesem Fall kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis des
Arbeitnehmers ohne vorherige Abmahnung ordentlich kündigen, wenn der
Arbeitnehmer damit für ihn erkennbar seine arbeitsvertraglichen Pflichten
schwer verletzt hat und er mit einer Hinnahme seines Handeln durch den Arbeitgeber offensichtlich nicht rechnen konnte.
BAG, Urt. v. 12.1.2006 - 2 AZR
21/05, NZA 2006, 917
Es spricht
keine Vermutung oder gar Lebenserfahrung dafür, dass ein Arbeitnehmer, dessen
Name im Zusammenhang mit einer Veröffentlichung erwähnt wird, diese
Stellungnahmen bzw. Veröffentlichungen veranlasst oder auch nur gebilligt hat.
Eine
allgemeine Kritik an den allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen
Verhältnissen einerseits und am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen
andererseits ist, auch wenn sie - etwa in Betriebsversammlungen - überspitzt
und polemisch ausfällt, noch vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt
und kann deshalb nicht die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzen.
Dies gilt umso mehr, wenn die Meinungsäußerung im Rahmen einer öffentlichen
Auseinandersetzung erfolgt. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts soll dann grundsätzlich eine Vermutung zu Gunsten der
Freiheit der Äußerung sprechen.
BAG, Urt.
v. 2.3.2006 - 2 AZR 53/05, NZA-RR 2006, 636
1. Geht der
Arbeitnehmer Freizeitaktivitäten nach, die mit seiner Arbeitsunfähigkeit nur
schwer in Einklang zu bringen sind, kann darin ein pflichtwidriger, zur
außerordentlichen
Kündigung berechtigender Verstoß gegen die vertraglichen
Rücksichtnahmepflichten
liegen (hier: Skiurlaub bei bestehender Arbeitsunfähigkeit wegen
Hirnhautentzündung mit
Konzentrationsschwächen; Skiurlaub eines arbeitsunfähigen Gutachters des
Medizinischen Dienstes).
2. Eine
schwere, regelmäßig schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann eine
außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund an
sich
rechtfertigen. Auch die erhebliche Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten,
insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten i.S. v. § 241
Abs. 2 BGB, die dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks dienen, kann
ein
wichtiger Grund an sich zur außerordentlichen Kündigung sein. Der Arbeitnehmer
hat
seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im
Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so
zu
wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung im Betrieb,
seiner
eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebes
nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann. Dabei ergibt sich der
konkrete Inhalt aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis. Insbesondere bei
Arbeitnehmern in einer leitenden Position im Betrieb oder Arbeitnehmern, die
mit ihrer Tätigkeit spezifische Vertragspflichten übernommen haben, hat deren
Stellung unmittelbaren Einfluss auf die vertragliche Pflichtenstruktur. Dies
gilt umso mehr, wenn berechtigte Belange des Arbeitgebers erheblich gestört
werden, weil das Verhalten des Arbeitnehmers geeignet ist, den Ruf des
Arbeitgebers im Geschäftsverkehr zu gefährden.
Ein
arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer muss sich so verhalten, dass er bald
wieder gesund wird und an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Er hat alles
zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Der erkrankte Arbeitnehmer
hat insoweit auf die schützenswerten Interessen des Arbeitgebers, die sich u.
a. aus der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung ergeben, Rücksicht zu nehmen.
Eine schwerwiegende Verletzung dieser Rücksichtnahmepflicht kann eine
außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen. Deshalb kann
ein pflichtwidriges Verhalten vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer bei
bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges
Verhalten gefährdet. Damit verstößt er nicht nur gegen eine Leistungspflicht,
sondern zerstört insbesondere auch das Vertrauen des Arbeitgebers in seine
Redlichkeit. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer während
der Krankheit nebenher bei einem anderen Arbeitgeber arbeitet, sondern kann
auch gegeben sein, wenn er Freizeitaktivitäten nachgeht, die mit der
Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind.
Ein als
Arzt ausgebildeter Arbeitnehmer muss in besonderem Maße dafür sensibilisiert
sein, dass ein "Kurzaufenthalt" in der Schweiz verbunden mit einem
Skikurs nicht mit seiner auf einer Hirnhautentzündung beruhenden
Arbeitsunfähigkeit in Einklang zu bringen ist, sondern vielmehr ein erhebliches
Fehlverhalten beinhaltet. Die erhebliche Verletzung der vertraglichen
Rücksichtnahmepflicht wiegt besonders schwerer, wenn der Arbeitnehmer auf Grund
seines beruflichen Aufgabenfeldes in besonderem Maße dazu verpflichtet ist, das
Vertrauen Außenstehender in die von ihm geleistete Arbeit und die korrekte
Aufgabenerledigung seines Arbeitgebers nicht zu erschüttern. Durch sein
Verhalten gibt der Arbeitnehmer zu erkennen, dass er die Maßstäbe seiner
täglichen Arbeit bei der Begutachtung von Arbeitnehmern, an deren bescheinigter
Arbeitsunfähigkeit Zweifel bestehen, offensichtlich für sich selbst nicht zur
Anwendung bringen will. Hierdurch werden die Interessen und das Ansehen des
Arbeitgebers wesentlich beeinträchtigt. Das Vertrauen der Krankenkassen, die
den Arbeitgeber tragen und finanzieren (§ 278 Abs. 1 und § 281 Abs. 1 SGB V),
und der Arbeitgeber, die gegenüber den Krankenkassen einen Anspruch auf
Einholung eines Gutachtens bei ihm nach § 275 Abs. la SGB V haben, in die
Objektivität, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit der Gutachtertätigkeit kann
hierdurch erheblich erschüttert werden. Dies kann zu einer erheblichen
Rufschädigung des Arbeitgebers führen.
Ist die
Zustimmung des Integrationsamts zur außerordentlichen Kündigung noch nicht
bestandskräftig, steht es im pflichtgemäßen Ermessen der Gerichte für
Arbeitssachen, ob sie den Kündigungsschutzrechtsstreit aussetzen oder nicht.
Gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung - einander widersprechende
Entscheidungen zu verhindern - sind der Nachteil einer langen Verfahrensdauer
und die daraus für die Parteien entstehenden Folgen abzuwägen. Dabei kommt bei
Bestandsschutzstreitigkeiten dem gesetzlich geregelten Beschleunigungsgrundsatz
von § 9 Abs. 1, § 64 Abs. 8 und § 61a ArbGG eine
besondere Bedeutung zu. Auf Grund dessen hat das Interesse der Parteien an der
Verhinderung einander widersprechender Entscheidungen grundsätzlich
zurückzutreten. Dem Arbeitnehmer steht ggf. der Restitutionsgrund des § 580 Nr.
7b ZPO analog zur Seite, falls er später vor dem Verwaltungsgericht obsiegen
sollte.
BAG, Urt. v. 2.3.2006 - 2 AZR 46/05,
NZA 2006,1211
Nur wenn
die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt bereits abgelaufen ist, will § 91 Abs. 5
SGB EX dem Umstand Rechnung tragen, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht
möglich ist, bis zum Ablauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2
Satz 1 BGB die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. Die Fristen des §
626 Abs. 2 Satz 1 BGB und § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bestehen somit selbständig
nebeneinander und verdrängen einander nicht.
Mit der
eigenständigen Prüfung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB durch
die Gerichte für Arbeitssachen ist keine Aussage über die verwaltungsrechtliche
Frage verbunden, ob § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX als Voraussetzung einer wirksamen
Zustimmung des Integrationsamts eingehalten ist. Die Einhaltung der Frist des §
91 Abs. 2 SGB IX unterfällt allein der Prüfungskompetenz der Integrationsämter
und im Falle der Anfechtung den Verwaltungsgerichten. An deren Entscheidung
sind alle anderen Behörden und Gerichte wegen der so genannten
Tatbestandswirkung gebunden, sofern die Entscheidung nicht ausnahmsweise
nichtig ist.
Eine
Feststellungswirkung, d.h. eine Bindung an die dem Verwaltungsakt zugrunde
liegenden tatsächlichen Feststellungen oder die Beurteilung vorgreiflicher Inzidentfragen, ist dem Verwaltungsakt in der Regel nicht
eigen. Es bedarf vielmehr besonderer gesetzlicher Vorschriften, die diese
Feststellungswirkung anordnen. § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX beinhaltet jedoch
keine solche Regelung dahin. Die zustimmende Entscheidung des Integrationsamtes
beinhaltet deshalb zwar die Bejahung der Vorfrage, ob die Antragsfrist nach §
91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX von der Beklagten eingehalten wurde. Diese Beurteilung
des Integrationsamtes ist jedoch für das Arbeitsgericht bei der Prüfung der
2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht bindend.
4. Einem
Arbeitgeber, der trotz vollständiger Kenntnis von den sonstigen
kündigungsbegründenden Umständen innerhalb der Frist
von § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB
darauf nicht reagiert hat, wird nicht nur deshalb über § 91 SGB IX der Weg zu
einer
außerordentlichen Kündigung (wieder) eröffnet, weil er einige Zeit nach
Erlangung dieser
Kenntnisse auch von der festgestellten bzw. beantragten
Schwerbehinderteneigenschaft
erfährt und deshalb eine neue 2-Wochen-Frist nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu
laufen
begönne. Für den Beginn der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist die
fehlende Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft grundsätzlich
unerheblich.
5. Die
Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte
eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der für die Kündigung
maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Auch grob
fahrlässige Unkenntnis ist
insoweit ohne Bedeutung. Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen
Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann
Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu
laufen
beginnt. Um den Lauf der Frist aber nicht länger als unbedingt notwendig hinauszuschieben,
muss die Anhörung innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Die Frist darf
im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen. Bei Vorliegen besonderer
Umstände
darf diese Frist auch überschritten werden. Sind die Ermittlungen danach
abgeschlossen
und hat der Kündigungsberechtigte eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt
und von den erforderlichen Beweismitteln, so beginnt der Lauf der
Ausschlussfrist.
BAG, Urt. v. 27.4.2006 - 2 AZR
415/05, NZA 2006,1033
An sich
vorliegender wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung wegen unzulässiger
freihändiger Veräußerung eines ausgesonderten Gerätes an einen Mitarbeiter.
Die bei der
Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend
für alle Fälle festlegen. Zunächst kommt der Dauer des Arbeitsverhältnisses und
dessen beanstandungsfreiem Bestand ein besonderes Gewicht zu. Die Dauer der
Betriebszugehörigkeit ist auch zu berücksichtigen, wenn eine Kündigung auf ein
Vermögensdelikt zu Lasten des Arbeitgebers gestützt wird. Ferner können das
Bestehen einer Wiederholungsgefahr, das Maß der dem Arbeitgeber entstandenen
Schädigung und auch die Frage in Betracht zu ziehen sein, ob dem Verhalten des
Arbeitnehmers eine besondere Verwerflichkeit innewohnt. Auch
Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falles -
Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls nicht von vornherein von der
Berücksichtigung ausgeschlossen, wenn sie auch im Einzelfall in den Hintergrund
treten und im Extremfall sogar völlig vernachlässigt werden können. Die
gegenteilige Auffassung, der zufolge bestimmte Umstände stets von der
Berücksichtigung ausgeschlossen sein sollen, korrespondiert nicht ausreichend
mit der gesetzlichen Vorgabe, nach der "alle" Umstände des
Einzelfalles Bedeutung haben können.
Bei der
Interessenabwägung kann berücksichtigt werden, dass die fehlende Schädigung des
Arbeitgebers infolge Rückführung des veräußerten Gerätes Ausdruck einer auf
Korrektheit und Ehrlichkeit ausgerichteten Grundhaltung des Arbeitnehmers ist.
Bei der
Interessenabwägung kann berücksichtigt werden, dass - bei feststehender
Vertragswidrigkeit des Arbeitnehmerverhaltens - der Arbeitnehmer guten Glaubens
war und ein selbst gewähltes, wenn auch ungeeignetes, Verfahren einhielt, um
seine Entscheidung zum Verkauf des ausgesonderten Gerätes abzusichern und sein
Verhalten keinerlei Eigennutz, nicht einmal Eigeninitiative erkennen ließ,
sondern von dem Bestreben gekennzeichnet war, auf die Wünsche der Mitarbeiter
einzugehen und zudem der Erlös des Verkaufs aufgewendet wurde, um einen
Ausstattungsgegenstand für den Aufenthaltsraum der Mitarbeiter zu kaufen
.
Die
Voraussetzungen von § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB lagen somit in dem zu
entscheidenden Fall nicht vor, weil jedenfalls die Interessenabwägung zugunsten
der Klägerin ausging.
Anm.: Der
Sachverhalt lag wie folgt:
Die
Klägerin war für die Beklagte als Klinikpflegedienstleitung tätig. Sie
verkaufte auf Anfrage des Stationsleiters S an diesen eine im Krankenhaus nicht
mehr benötigte, rd. sieben Jahre alte OP-Standleuchte mit einem Neuwert von
knapp 1.300,-- Euro zum Preis von 10,- Euro. Vor der Veräußerung fragte die
Klägerin in der Abteilung Einkauf telefonisch nach dem Zeitwert der
Standleuchte und erhielt die Auskunft, nach der linearen Abschreibung habe die
Lampe keinen Wert mehr. Sie solle „wie üblich" vorgehen. Damit waren die
bei der Beklagten existierenden verbindlichen Regelungen für die Entsorgung
nicht mehr benötigter Einrichtungsgegenstände gemeint, die der Klägerin
allerdings nicht bekannt waren. Mit der freihändigen Veräußerung der
Standleuchte verstieß die Klägerin gegen diese Regelungen. Auf Grund ihrer
früheren Tätigkeit in der Pflegedienstleitung und ihrer hohen
Budgetverantwortung ging die Klägerin davon aus, sie könne nicht mehr
benötigtes Material in eigener Kompetenz entsorgen. Den Erlös verwendete die
Klägerin für die Anschaffung einer Kleiderhakenleiste für das allgemein
genutzte Dienstplanzimmer. Als die Krankenhausleitung von dem Vorgang etwa zwei
Monate später Kenntnis erhielt und das Verhalten der Klägerin beanstandete,
veranlasste die Klägerin den Stationsleiter mit Erfolg, die Standleuchte wieder
zurückzuführen.
BAG, Urt v. 27.4.2006 - 2 AZR 386/05, NZA 2006,977
1. Bei der
Prüfung der Frage, ob ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung eines
ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers vorliegt, geht es allein um die Abwägung,
ob dem
Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der
„fiktiven"
Kündigungsfrist noch zugemutet werden kann. Bei dieser Prüfung besteht kein
hinreichender Anlass, neben dem Alter und der Beschäftigungsdauer die
ordentliche
Unkündbarkeit des Arbeitnehmers erneut zu dessen Gunsten zu berücksichtigen und
damit den ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer besser zu stellen als einen
Arbeitnehmer ohne diesen Sonderkündigungsschutz bei entsprechenden
Einzelfallumständen und
beiderseitigen Interessen.
Anders
liegt es bei einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist.
Dort geht es um die Frage, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des
Arbeitnehmers notfalls bis zu dessen Pensionierung zumutbar ist oder nicht.
Hier kann die ordentliche Unkündbarkeit des Arbeitnehmers bei der
Interessenabwägung in der Tat sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des
Arbeitnehmers ins Gewicht fallen.
2. Als
kündigungsrelevante Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kommt bei einer
privaten Nutzung des Internets u. a. in Betracht:
das
Herunterladen einer erheblichen Menge von Daten aus dem Internet auf betriebliche
Datensysteme ("unbefugter download"), insbesondere wenn damit
einerseits die Gefahr möglicher Vireninfizierungen oder anderer Störungen des -
betrieblichen -Betriebssystems verbunden sein können oder andererseits von
solchen Daten, bei deren Rückverfolgung es zu möglichen Rufschädigungen des
Arbeitgebers kommen kann, beispielsweise weil strafbare oder pornografische
Darstellungen heruntergeladen werden;
die private
Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internetanschlusses als
solche, weil durch sie dem Arbeitgeber möglicherweise - zusätzliche - Kosten
entstehen können und der Arbeitnehmer
jedenfalls die Betriebsmittel unberechtigterweise - in Anspruch genommen hat;
die private
Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internets während der
Arbeitszeit, weil der Arbeitnehmer während des Surfens im Internet zu privaten
Zwecken seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringt und
dadurch seine Arbeitspflicht verletzt.
Bei einer
privaten Internetnutzung während der Arbeitszeit verletzt der Arbeitnehmer
grundsätzlich seine (Hauptleistungs-) Pflicht zur Arbeit. Die private Nutzung
des Internets darf die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten
Arbeitsleistung nicht erheblich beeinträchtigen. Die Pflichtverletzung wiegt
dabei umso schwerer, je mehr der Arbeitnehmer bei der privaten Nutzung des
Internets seine Arbeitspflicht in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht
vernachlässigt.
Im Falle
des fast täglichen umfangreichen Aufrufs verschiedener pornografischer
Internetseiten besteht die Gefahr einer Rufschädigung des Arbeitgebers. Allein
die Befassung mit pornografischen Darstellungen kann die Gefahr einer
Rückverfolgung an den Nutzer mit sich bringen und damit den Eindruck erwecken,
eine Behörde, hier des Bundesministers der Verteidigung, befasse sich anstatt
mit ihren Dienstaufgaben beispielsweise mit Pornografie. Auf die
strafrechtliche Bewertung des entsprechenden Pflichtverstoßes des Arbeitnehmers
durch die Staatsanwaltschaft kommt es nicht entscheidend an.
5. Nach dem
zur Zeit der Kündigung geltenden § 8 Abs. 1 Satz 1 BAT oblagen dem Arbeitnehmer
gegenüber einem normalen Angestellten in der Privatwirtschaft gesteigerte
Verhaltenspflichten. Der Angestellte hat sich nach dieser Vorschrift so zu
verhalten, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet wird. Von
einem Angestellten des Bundes ist nach § 8 Abs. 1 BAT zu erwarten, dass er sich
nicht monatelang fast täglich zwischen ca. einer Viertelstunde und knapp drei
Stunden mit Pornografie im Internet beschäftigt, anstatt seine Dienstpflichten
zu erfüllen. Werden solche Verfehlungen bekannt und schreitet der öffentliche
Dienstherr hiergegen nicht ein, so fällt dies auf die Behörde und damit auf den
gesamten öffentlichen Dienst zurück. Wenn der Eindruck entstehen sollte,
Mitarbeiter in zivilen Dienststellen der Bundeswehr beschäftigten sich anstatt
mit Dienstaufgaben zu einem erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit mit dem
Betrachten von Pornoseiten im Internet, so ist ein solcher Eindruck dem Ansehen
der Bundeswehr in der Öffentlichkeit insgesamt höchst abträglich.
Anm.l: Im
zu entscheidenden Fall nutzte der Arbeitnehmer mehr als zwei Monate lang fast
täglich das Internet in einem Umfang zwischen ca. 15 Minuten und knapp 3
Stunden verbotswidrig privat. Das BAG führt hierzu aus:
In ca. zehn
Wochen betrug die Zeit der privaten Internetnutzung mehr als eine Woche. Damit
hat er seine Arbeitspflicht ganz erheblich verletzt, selbst wenn man mögliche
Pausenzeiten berücksichtigt. In diesem Zusammenhang ist nicht entscheidend, ob
es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß
gearbeitet hat. Der Arbeitgeber hat hinreichend dargelegt, dass sich der
Arbeitnehmer die Zeiten, die er sich verbotswidrig ohne Kenntnis seines
Arbeitgebers am Arbeitsplatz mit privaten Dingen beschäftigt hat, als
Arbeitszeit hat bezahlen lassen. Anhaltspunkte dafür, dass ihm der Arbeitgeber
nicht in ausreichendem Umfang Arbeiten zugewiesen hat, hat der Arbeitnehmer
nicht vorgetragen. Unter diesen Umständen gehörte es nicht zur Darlegungslast
des Arbeitgebers, im Einzelnen vorzutragen, ob und inwiefern auch die
Arbeitsleistung des Arbeitnehmers unter seinen Privatbeschäftigungen während
der Dienstzeit gelitten hat.
Anm. 2: Zur
Problematik der Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB enthält
das Urteil folgende Schilderungen:
(unstr. Tatbestand): Am 4. und am 7. Juni 2004 wurde der
Kläger zu dem Vorwurf angehört, er habe vom 8. März bis 13. Mai 2004 während
der Dienstzeit rund 50 Stunden verbotswidrig den diensteigenen Internetzugang
privat genutzt und dabei vorrangig pornografische Seiten besucht. Mit Schreiben
vom 7. Juni 2004 wurde der Personalrat zur beabsichtigten außerordentlichen
Kündigung des Klägers angehört. Mit Schreiben vom 9. Juni 2004 teilte der
Personalrat mit, er stimme der außerordentlichen Kündigung des Klägers nicht
zu. Am 9. Juni 2004 übermittelte der Kläger der Beklagten seinen Antrag auf
Anerkennung als Schwerbehinderter. Mit Bescheid vom 20. September 2004 wurde
ein Grad der Behinderung von 30 anerkannt. Am 9. Juni 2004 wurde die
Vertrauensfrau der Schwerbehinderten beteiligt. Ihre Stellungnahme erfolgte mit
Schreiben vom 11. Juni 2004. Am 11. Juni 2004 bat die Beklagte das Integrationsamt um Zustimmung zur Kündigung. Diese wurde
mit Datum vom 24. Juni 2004 [Donnerstag] erteilt. Mit Schreiben vom 29. Juni
2004 [Dienstag], dem Kläger am gleichen Tage zugegangen, hat die Beklagte das
Arbeitsverhältnis mit dem Kläger daraufhin außerordentlich gekündigt.
(str. Klägervortrag): Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2
BGB sei nicht eingehalten worden. Mangels anerkannter oder offensichtlicher
Schwerbehinderung sei die Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes gar
nicht erforderlich gewesen. Es sei ihm auch nicht verwehrt, sich auf die Nichteinhaltung
der Zwei-Wochen-Frist zu berufen. Es wäre der Beklagten unbenommen gewesen,
eine Kündigung vor Zustimmung des Integrationsamtes auszusprechen.
(Entscheidungsgründe):
Liegt ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung iSv. § 54 Abs. 1 BAT iVm. § 626 Abs. 1 BGB vor, so wird das Landesarbeitsgericht
weiter zu prüfen haben, ob die Kündigung nach § 54 Abs. 2 BAT rechtzeitig
erfolgt ist. Dabei wird es, da sich der Kläger nach dem bisherigen Aktenstand
nach Treu und Glauben kaum auf die Verzögerung durch die Mitteilung von seinem
Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter wird berufen können, vor allem auf
die Feststellung ankommen, zu welchem Zeitpunkt die Ermittlungen der Beklagten
abgeschlossen waren.
28.Kündigung, § 2 KSchG,
Änderungskündigung
BAG, Urt. v. 12.1.2006 - 2 AZR
126/05, NZA 2006, 587
Eine
Änderungskündigung zur Entgeltsenkung ist nicht allein deshalb sozial
gerechtfertigt, weil eine neue gesetzliche Regelung die Möglichkeit vorsieht,
durch Parteivereinbarung einen geringeren (tariflichen) Lohn festzulegen, als
er dem Arbeitnehmer bisher gesetzlich oder vertraglich zustand.
BAG, Urt. v. 18.5.2006, 2 AZR
230/05, NZA 2006,1092
§ 2 Satz 2
KSchG betrifft nach seinem Wortlaut lediglich die Vorbehaltserklärung, nicht
jedoch die vorbehaltlose Annahme des Änderungsangebots. Indes ist diese Frist
als Mindestfrist auch auf die vorbehaltlose Annahme des Änderungsangebots zu
erstrecken. Die Vorbehaltserklärung stellt eine bedingte Annahme dar. Sie setzt
deshalb ein annahmefähiges Angebot voraus. Ein befristetes Angebot erlischt
jedoch mit Ablauf der Frist. Ein erloschenes Angebot ist kein Angebot und kann
nicht, auch nicht unter Vorbehalt angenommen werden.
Bei der
Befristung des Änderungsangebotes durch den Arbeitgeber bildet die gesetzliche
Mindestfrist des § 2 Satz 2 KSchG die Untergrenze. Ein vernünftiger Weise
berücksichtigungsfähiges Interesse, diese Frist, deren Geltung für die
Vorbehaltsannahme das Gesetz ausdrücklich und zwingend vorschreibt, für den
Fall der vorbehaltlosen Annahme abzukürzen, besteht nicht. Da der Arbeitnehmer
in jedem Fall die Vorbehaltsannahme auch nach Ablauf einer solchen Frist bis
zum Ablauf der gesetzlichen Frist erklären kann, würde sich der Arbeitgeber,
könnte er die Frist zur vorbehaltlosen Annahme entgegen § 2 Satz 2 KSchG
abkürzen, auf diese Weise selbst der Möglichkeit berauben, die angestrebte
Vertragsänderung ohne Änderungsschutzprozess zu erreichen.
Die zu
kurze Bestimmung der Annahmefrist führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der
Kündigung. Sie setzt vielmehr die gesetzliche Frist des § 2 Satz 2 KSchG in
Lauf. Der Arbeitnehmer kann also in jedem Fall die Annahme vorbehaltlos oder
unter Vorbehalt innerhalb der Frist des § 2 Satz 2 KSchG erklären.
Der
Arbeitgeber, der den Arbeitnehmer durch eine entgegen § 2 Satz 2 KSchG zu kurze
Annahmefrist von der (rechtzeitigen) Abgabe der Vorbehaltserklärung abgehalten
hat, kann sich unter den Voraussetzungen des § 242 BGB auf den etwa
eingetretenen Ablauf der Frist des § 2 Satz 2 KSchG nicht berufen (obiter dictum).
BAG, Urt. v. 1.2.2007 - 2 AZR 44/06,
Pressemitteilung Nr. 8/07
1. Spricht
der Arbeitgeber eine Änderungskündigung aus und will der Arbeitnehmer das
Änderungsangebot unter Vorbehalt annehmen, so steht ihm hierfür gemäß § 2 Satz
2 KSchG längstens eine Erklärungsfrist von drei Wochen zur Verfügung. Eine zu
kurze Annahmefrist ist (soweit keine kürzere Kündigungsfrist gilt) an die
dreiwöchige gesetzliche Mindestfrist anzupassen (vgl. bereits BAG, Urt. v.
18.5.2006, 2 AZR 230/05).
2. Die
Erklärungsfrist von drei Wochen gilt als Mindestfrist auch für die Möglichkeit
einer vorbehaltlosen Annahme des Änderungsangebots. Auch im Hinblick auf eine
vorbehaltlose Annahme gilt, dass eine vom Arbeitgeber zu kurz festgelegte
Annahmefrist (im konkreten Fall: „Teilen Sie uns bitte umgehend mit, ob Sie mit
den geänderten Arbeitsbedingungen und mit der Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses über die Kündigungsfrist hinaus einverstanden sind.")
an die dreiwöchige gesetzliche Mindestfrist anzupassen ist. Nach Ablauf der
dreiwöchigen Mindestfrist ist eine (auch vorbehaltlose) Annahme des
Änderungsangebotes durch den Arbeitnehmer nicht mehr möglich.
BAG, Urt. v. 2.3.2006 - 2 AZR 64/05,
NZA 2006, 985
1. Bei der
außerordentlichen Änderungskündigung müssen gegenüber der ordentlichen
Kündigung gesteigerte Anforderungen gestellt werden. Im Falle der
außerordentlichen
Änderungskündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers ist
entscheidender
Gesichtspunkt, ob das geänderte unternehmerische Konzept die vorgeschlagene
Änderung erzwingt oder ob es im Wesentlichen auch ohne oder mit weniger
einschneidenden Änderungen im Arbeitsvertrag des Gekündigten durchsetzbar
bleibt. Außerdem muss der Arbeitgeber bereits bei Erstellung des
unternehmerischen Konzepts die in Form von vereinbarten Kündigungsausschlüssen
bestehenden arbeitsvertraglich übernommenen Garantien ebenso wie andere
schuldrechtliche Bindungen berücksichtigen. Dabei kann auch der zeitliche
Aspekt eine Rolle spielen. Handelt es sich nur um eine vorübergehende Umgestaltung
der Organisation, muss die angebotene Vertragsänderung dem Rechnung tragen. Der Arbeitgeber ist mit dem Ausschluss der ordentlichen
Kündbarkeit eine weitreichende Verpflichtung und - damit einhergehend - ein
hohes Risiko eingegangen.
Dieser Bindung muss er insbesondere bei Prüfung der Frage, welche
Vertragsänderungen
er dem Arbeitnehmer mit dem Änderungsangebot zumutet, gerecht werden. Deshalb
kann
nicht jede mit dem Festhalten am Vertragsinhalt verbundene Last einen wichtigen
Grund
zur außerordentlichen Änderungskündigung bilden.
Im Prozess
wirkt sich die übernommene Verpflichtung auch bei der Darlegungslast aus. Aus
dem Vorbringen des Arbeitgebers muss erkennbar sein, dass er auch unter
Berücksichtigung der vertraglich eingegangenen besonderen Verpflichtungen alles
Zumutbare unternommen hat, die durch die unternehmerische Entscheidung
notwendig gewordenen Anpassungen auf das unbedingt erforderliche Maß zu
beschränken.
Die
Einrichtung eines Heimarbeitsplatzes kann unter bestimmten Voraussetzungen mit
dem unternehmerischen Konzept des Arbeitgebers vereinbar sein und als Weiterbeschäf-tigungsmöglichkeit in Betracht kommen.
BAG, Urt. v. 18.5.2006 - 2 AZR
207/05, DB 2006,1851
„Nachweisbar
nicht möglich" iSd. § 55 Abs. 2 Unterabs. 1 BAT ist die Weiterbeschäftigung zu den bisherigen
Bedingungen, wenn sie zwingend ausgeschlossen ist. Damit ist allerdings nicht
objektive Unmöglichkeit gemeint, es kommt vielmehr darauf an, ob die
dienstlichen Gründe zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Angestellten
zu den bisherigen Vertragsbedingungen i.S.d. § 54
Abs. 1 BAT führen.
Wie bei der
ordentlichen betriebsbedingten Änderungskündigung müssen alle vorgeschlagenen
Änderungen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den
geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Die
angebotenen
Änderungen dürfen sich nicht weiter vom Inhalt des bisherigen
Arbeitsverhältnisses entfernen, als zur Erreichung des angestrebten Zieles
erforderlich ist.
Für die
außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung ist darüber hinaus
entscheidend, ob die zugrundeliegende Organisationsentscheidung die
vorgeschlagene Änderung erzwingt oder ob sie im Wesentlichen auch ohne oder mit
weniger einschneidenden Änderungen im Arbeitsvertrag des Gekündigten
durchsetzbar bleibt. Außerdem muss der Arbeitgeber bereits bei Erstellung des
unternehmerischen Konzepts die in Form von vereinbarten Kündigungsausschlüssen
bestehenden arbeitsvertraglich übernommenen Garantien ebenso wie andere
schuldrechtliche Bindungen berücksichtigen. Deshalb kann nicht jede mit dem
Festhalten am Vertragsinhalt verbundene Last einen wichtigen Grund zur
außerordentlichen Änderungskündigung bilden. Im Prozess wirkt sich die
übernommene Verpflichtung auch bei der Darlegungslast aus. Aus dem Vorbringen
des Arbeitgebers muss erkennbar sein, dass er auch unter Berücksichtigung der
vertraglich eingegangenen besonderen Verpflichtungen alles Zumutbare
unternommen hat, die notwendig gewordenen Anpassungen auf das unbedingt
erforderliche Maß zu beschränken.
3. Der
Arbeitgeber muss vor einer außerordentlichen Änderungskündigung eines
"unkündbaren" Angestellten nach § 55 Abs 2 UAbs.
1 BAT prüfen, ob der unkündbare
Arbeitnehmer durch Versetzung auf einen freien und gleichwertigen Arbeitsplatz
weiterbeschäftigt werden kann. Dabei muss er auch absehbare
Überbrückungszeiträume in Kauf nehmen und Reorganisationsmöglichkeiten
einbeziehen (Umsetzungen, Änderung
der Arbeitsverteilung).
4. Zur
Beantwortung der Frage, ob eine Freikündigungspflicht besteht, muss im
Einzelfall
entsprechend der Vorgabe des § 54 BAT (§ 626 BGB) eine Abwägung vorgenommen
werden. Das Interesse des Arbeitgebers an der Weiterbeschäftigung des kündbaren
Arbeitnehmers kann nicht schlechthin außer Acht bleiben. Dies wirkt sich bei
der
Verteilung aus betrieblichen Gründen reduzierter Arbeitsplätze so aus, dass dem
unkündbaren Angestellten grundsätzlich ein Arbeitsplatz zu den bisherigen
Bedingungen
jedenfalls dann vorzubehalten ist, wenn er von einem kündbaren Angestellten
besetzt ist,
der nach einer Zurückstufung um eine Vergütungsgruppe ebenfalls weiter
beschäftigt
werden kann.
Eine
Freikündigungspflicht besteht aber jedenfalls dann nicht, wenn der unkündbare
Arbeitnehmer den freigekündigten Arbeitsplatz nicht
innerhalb der für einen qualifizierten Stellenbewerber ausreichenden
Einarbeitungszeit ausfüllen kann.
Anm.: Nach
§ 55 BAT kann dem unkündbaren Angestellten (§ 53 Abs. 3 BAT) aus in seiner
Person oder in seinem Verhalten liegenden wichtigen Gründen fristlos gekündigt
werden. Andere wichtige Gründe, insbesondere dringende betriebliche
Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Angestellten entgegenstehen,
berechtigen den Arbeitgeber grundsätzlich nicht zur Beendigungskündigung. In
diesen Fällen kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis jedoch, wenn eine Beschäftigung
zu den bisherigen Vertragsbedingungen aus dienstlichen Gründen nachweisbar
nicht möglich ist, zum Zwecke der Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe
kündigen.
Die
Nachfolgeregelung des § 34 Abs. 2 TVöD lautet:
Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben
und für die die Regelungen des Tarifgebiets West Anwendung finden, können nach
einer Beschäftigungszeit (Abs. 3 Satz 1 und 2) von mehr ah 15 Jahren durch den
Arbeitgeber nur aus einem wichtigen Grund gekündigt werden. Soweit Beschäftigte
nach den bis zum 30. September 2005 geltenden Tarifregelungen unkündbar waren,
verbleibt es dabei.
29. Kündigung, §4-7 KSchG,
Klagefrist u. nachtr. Zulassung, Rubrumsberichtigung
BAG, Urt. v. 15.12.2005 - 2 AZR
148/05, NZA 2006, 791
Der
Arbeitnehmer kann die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist auch nach der am 1.
Januar 2004 in Kraft getretenen Neufassung von § 4 KSchG außerhalb der
fristgebundenen Klage nach § 4 Satz 1 KSchG geltend machen.
BAG, Urt. v. 6.7.2006 - 2 AZR 215/05,
NZA 2006,1405
Die
Nichteinhaltung der Kündigungsfrist kann auch außerhalb der Klagefrist des § 4
KSchG geltend gemacht werden.
BAG v. 21.9.2006 - 2 AZR 573/05, NJW
2007, 458
Hat die
Insolvenzschuldnerin eine Kündigung ausgesprochen und ist zum Zeitpunkt der
Klageerhebung bereits ein Insolvenzverwalter bestellt, ist eine
Kündigungsschutzklage gegen diesen in seiner Eigenschaft als Partei kraft Amtes
zu erheben. Eine Klage gegen die Schuldnerin macht den Insolvenzverwalter nicht
zur Partei des Rechtsstreits.
Selbst bei
äußerlich eindeutiger, aber offenkundig unrichtiger Bezeichnung der Parteien in
der Klagschrift ist grundsätzlich diejenige Person als Partei angesprochen, die
erkennbar durch die Parteibezeichnung betroffen werden soll. Es kommt darauf
an, welcher Sinn der von der klagenden Partei in der Klageschrift gewählten Parteibezeichnung bei objektiver Würdigung des
Erklärungsinhalts beizulegen ist. Entscheidend ist die Wahrung der rechtlichen
Identität. Bleibt die Partei nicht dieselbe, liegt keine Berichtigung vor,
sondern es wird im Wege der Parteiänderung eine andere Partei in den Prozess
eingeführt. Eine ungenaue oder erkennbar falsche Parteibezeichnung ist hingegen
unschädlich und kann jederzeit von Amts wegen richtiggestellt werden.
Ist ausweislich
des Rubrums der Klageschrift anstatt des Insolvenzverwalters die Schuldnerin
verklagt, so ist stets zu prüfen, ob der Fehler durch eine Rubrumsberichtigung
beseitigt werden kann. Für die Parteistellung in einem Prozess ist nicht allein
die formelle Bezeichnung der Partei in der Klageschrift maßgeblich. Lässt sich
aus der Klageschrift oder den beigefügten Unterlagen (insbesondere dem
Kündigungsschreiben) entnehmen, dass das Insolvenzverfahren gegen die
Schuldnerin eröffnet worden ist, so wird regelmäßig eine Klarstellung des Klagerubrums möglich sein.
Ist der
Klageschrift ist zwar das Kündigungsschreiben beigefügt, wird aus ihm aber
gerade nicht ersichtlich, dass das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist und
ein Insolvenzverwalter bestellt wurde, wird bei dieser eindeutig noch gegen die
Schuldnerin gerichteten Klage der Insolvenzverwalter selbst dann nicht Partei,
wenn er die Klageschrift tatsächlich erhält, solange der Kläger nicht erklärt
hat, die Klage richte sich auch gegen den Insolvenzverwalter.
4. Der
Kläger hat in diesen Fällen nachträglich Kündigungsschutzklage gegen den
Insolvenzverwalter zu erheben, verbunden mit einem innerhalb der
Zwei-Wochen-Frist des § 5 Abs. 3 KSchG gestellten Antrag auf nachträgliche
Zulassung der Klage. Anderenfalls gilt die Kündigung nach § 7 KSchG als von
Anfang an rechtswirksam.
BAG, Urt. v. 1.3.2007 - 2 AZR
525/05, Pressemitteilung Nr. 18/07
Eine
ungenaue oder erkennbar falsche Parteibezeichnung in der Klageschrift ist
unschädlich und kann jederzeit von Amts wegen berichtigt werden. Ergibt sich in
einem Kündigungsrechtsstreit aus dem der Klageschrift beigefügten
Kündigungsschreiben, wer als beklagte Partei gemeint ist, so ist eine
Berichtigung der Parteibezeichnung regelmäßig möglich.
Ist eine
Gesellschaft Arbeitgeberin des klagenden Arbeitnehmers, so ist bei einer
Kündigungsschutzklage besonders sorgfältig zu prüfen, ob lediglich eine falsche
Parteibezeichnung vorliegt, wenn der Arbeitnehmer nicht seine Arbeitgeberin,
sondern deren Gesellschafter verklagt. Dies gilt auch, wenn der Arbeitnehmer
bei einer Partnerschaftsgesellschaft nach dem PartGG (Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe vom 25.
Juli 1994 BGBl. I S. 1744) beschäftigt ist und eine Kündigungsschutzklage gegen
die einzelnen Partner richtet.
30. Kündigung, §§ 9, 10, 14 KSchG,
Auflösungsantrag
BAG, Urt. v. 27.4.2006 - 2 AZR
360/05, BB 2006,2471
In Fällen
der Vorgreiflichkeit steht die Verfahrensweise grundsätzlich im Ermessen des
Prozessgerichts. Es kann den Rechtsstreit fortführen und in der Sache
entscheiden oder aussetzen (§ 148 ZPO), es kann, falls die übrigen
Voraussetzungen vorliegen, einen über die vorgreifliche Rechtsfrage anhängigen
Rechtsstreit hinzuverbinden (§ 147 ZPO) oder es kann die Rechtsstreite unverbunden
lassen, aber zeitnah (u.U. am selben Tag) entscheiden
(§ 147 ZPO). Von welcher dieser Möglichkeiten das Gericht Gebrauch macht, steht
in seinem Ermessen.
Das
Ermessen kann jedoch eingeschränkt sein mit der Folge, dass nicht jede der an
sich denkbaren Möglichkeiten, sondern nur bestimmte Möglichkeiten oder sogar
nur noch eine Möglichkeit einer rechtmäßigen Ermessensausübung entsprechen. Bei
der Ausübung des Ermessens hat das Gericht mehrere Gesichtspunkte zu
berücksichtigen. Dazu gehören insbesondere die Prozesswirtschaftlichkeit und
die Vermeidung der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen. Von Bedeutung ist
daneben auch der Beschleunigungsgrundsatz, der in arbeitsrechtlichen
Bestandsstreitigkeiten besonders in den Vordergrund tritt. Die genannten Gesichtspunkte
schließen es in aller Regel aus, über einen Kündigungsschutzantrag hinsichtlich
einer Kündigung und über einen darauf bezogenen Auflösungsantrag eher zu
entscheiden als über einen zeitlich vorgehenden Auflösungsantrag (Aufgabe von
BAG 17.9.1987 - 2 AZR 2/87 - RzK 11 la Nr. 16).
Auflösungsanträge,
die auf unterschiedliche Kündigungen bezogen sind, haben unterschiedliche
Streitgegenstände.
Zum
Streitgegenstand des Auflösungsantrags gehört (auch), dass auf Grand eines Auflösungsgrandes das Arbeitsverhältnis zu dem in § 9 Abs.
2 bzw. § 13 Abs. 1 Satz 4 KSchG geregelten Zeitpunkt (nicht) aufgelöst wird.
Mit der Rechtskraft des Urteils ist dann auch das Arbeitsverhältnis zu dem
festgelegten Zeitpunkt aufgelöst. Damit hat ein Auflösungsantrag, der auf eine
Auflösung zum 19. September 2003 zielt, wenn die zu diesem Zeitpunkt
ausgesprochene außerordentliche Kündigung unwirksam ist (§ 13 Abs. 1 Satz 4
KSchG), einen anderen Streitgegenstand als ein Antrag, der eine Auflösung zum
6. April 2004 in Anlehnung an die zu diesem Zeitpunkt ausgesprochene
(unwirksame) außerordentliche Kündigung verlangt. Selbst wenn deshalb zum
späteren Auflösungszeitpunkt die Auflösungsgründe dieselben sein sollten, wäre
der Auflösungsantrag - ggf. mit der Rechtsprechung des Senats zur
Wiederholungskündigung - lediglich als unbegründet abzuweisen, nicht jedoch als
unzulässig.
Anm.: Dem
zu entscheidenden Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die
Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos mit Schreiben vom 18.
September 2003, das dem Kläger am 19. September 2003 zuging. Durch Teilurteil
vom 20. Januar 2004 in einem Parallelverfahren erklärte das Arbeitsgericht
Trier die Kündigung vom 18. September 2003 für unwirksam und wies den vom
Kläger zum 30. April 2004 - dem Ablauf der Kündigungsfrist - gestellten
Auflösungsantrag zurück. Der Kläger legte wegen der Abweisung seines
Auflösungsantrags Berufung ein und beantragte Auflösung des
Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung von 25.700,00 Euro. Als
Auflösungszeitpunkt benannte er den 30. April 2004 (Ablauf der ordentlichen
Kündigungsfrist), hilfsweise den 19. September 2003. Zwischenzeitlich hatte die
Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 1. März 2004 erneut zur Arbeit
aufgefordert. Der Kläger kam der Aufforderung wiederum nicht nach. Daraufhin
sprach die Beklagte mit Schreiben vom 6. April 2004 die fristlose Kündigung
aus, die Gegenstand des hiesigen, beim BAG anhängigen Rechtsstreits war.
Mit
Beschluss vom 24. Juni 2004 setzte das Landesarbeitsgericht das Verfahren wegen
des auf die Kündigung vom 18. September 2003 bezogenen Auflösungsantrags aus.
Es begründete die Aussetzung in der mündlichen Verhandlung gegenüber den
Parteien damit, das Verfahren betreffend die Kündigung vom 6. April 2004 sei
vorgreiflich, weil der Kläger Auflösung zum 30. April 2004 begehre und bei
einer Auflösung zum Zeitpunkt des Zugangs der fristlosen Kündigung - 19.
September 2003 - hinsichtlich der Höhe der Abfindung von Bedeutung sei, ob und
wann es ansonsten - ohne die Auflösung - enden würde. Der Kläger hat die
Unwirksamkeit der Kündigung vom 6. April 2004 geltend gemacht und einen
erneuten, auf die Kündigung vom 6. April 2004 und ebenfalls den
Auflösungszeitpunkt des 6. April 2004 bezogenen, Auflösungsantrag gestellt. Das
Landesarbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 6.
April 2004 fest und wies den Auflösungsantrag wegen anderweitiger
Rechtshängigkeit als unzulässig ab.
Das
angefochtene Urteil widerspricht nach Auffassung des BAG §§ 4, 13 KSchG. Das
Landesarbeitsgericht durfte über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch
die hier streitgegenständliche Kündigung vom 6. April 2004 und den auf diese
Kündigung bezogenen Auflösungsantrag nicht entscheiden, ohne dass feststand, ob
bei Zugang der Kündigung vom 6. April 2004 ein Arbeitsverhältnis bestand. Ob
bei Zugang der Kündigung vom 6. April 2004 ein Arbeitsverhältnis zwischen den
Parteien bestanden hat, steht nicht rechtskräftig fest. Der Kläger hat (u. a.)
einen auf den 19. September 2003 bezogenen Auflösungsantrag gestellt, über den
bisher nicht entschieden ist. Diese noch ausstehende Entscheidung ist
vorgreiflich für die Entscheidung sowohl über den hier streitgegenständlichen
Kündigungsschutzantrag als auch über den hier gestellten Auflösungsantrag.
Da sich der
Auflösungsantrag in der Hauptsache auf eine Beendigung zum 30. April 2004, also
einen nach der hier streitgegenständlichen fristlosen Kündigung vom 6 April
2004 liegenden, hilfsweise jedoch auf den 19. September 2003 und damit einen
vorher gelegenen Beendigungszeitpunkt bezieht, wird das Landesarbeitsgericht
die Rechtsstreitigkeiten wohl nur im Wege der Verbindung (§ 147 ZPO) den
Anforderungen des BAG gemäß behandeln können.